(Von ddp-Korrespondent Michael Best)
Gespenstisch schimmern die grünen Streifen an Türöffnungen und Wänden. Sie weisen den Weg in das unterirdische Labyrinth aus Notaufnahme, Ambulanzen, Labors und Krankenzimmern. In der Erde unter einem Gymnasium in Wedel bei Hamburg rottet seit bald 15 Jahren ein Relikt des Kalten Krieges vor sich hin: Unter der Schule liegt der Bunker des einst größten Hilfskrankenhauses in Deutschland, eines von insgesamt 94.
Die Kubakrise brachte 1962 nicht nur die Welt an den Rand eines Atomkrieges, sondern löste als Höhepunkt des Kalten Krieges eines der größten Bauvorhaben in der damaligen Bundesrepublik aus. Aus Sorge vor den Folgen eines heißen Krieges mit nuklearem, biologischem oder chemischem Waffeneinsatz gab die Bundesregierung 1963 den Bau von so genannten Hilfskrankenhäusern und die Beschaffung riesiger Materialbestände in Auftrag. Bis in die Mitte der 1970er Jahre entstanden so auf dem Gebiet der alten Bundesländer 94 Hilfskrankenhäuser, 22 davon zum Vollschutz komplett verbunkert. Bei den übrigen 72 Notkliniken mit so genanntem Teilschutz waren der Behandlungstrakt und ein Teil der Betten in einem Bunker untergebracht, der Rest lag in oberirdischen Gebäuden, wie Ursula Fuchs, Sprecherin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn, erläutert. Für den Ernstfall hätten auf diese Weise insgesamt 10 682 Krankenbetten in Vollschutz- sowie 32 466 Betten in Teilschutzkrankenhäusern zur Verfügung gestanden. Außerdem waren laut Fuchs 127 Schulen, Turnhallen und größere Versammlungsräume als weitere oberirdische Hilfskrankenhäuser vorgesehen, die bei Bedarf hätten umgerüstet werden sollen.
Die beklemmende Bunkeratmosphäre in der Wedeler Anlage wirkt durch den Gestank feuchter Decken und Wände noch intensiver. "Gesund ist dieser Schimmelgeruch bestimmt nicht", sagt Oliver Wleklinski. Er ist im Wedeler Sozialamt zuständig für den Bunker. Denn mit der Auflösung der Hilfskrankenhäuser bis 1992 wurden diese in die Obhut der jeweiligen Kommune übertragen. Wedel erhalte dafür zwar Geld vom Bund, dennoch sei der marode Bunker ein ständiges Zuschussgeschäft, beklagt Wleklinski. Seit 25 Jahren beschäftige er sich schon mit dem Bunker. "Ich war ja selbst einst Schüler da oben", sagt er und zeigt zur Decke, über der das Gymnasium liegt.
Der längste Gang ist 176 Meter lang | Nachmessung | Duschen zur Dekontamination |
Das Hilfskrankenhaus Wedel wäre im Falle eines Angriffs auf Hamburg einst zuständig gewesen, um Verwundete aus der Hansestadt aufzunehmen. Der Sportplatz des Gymnasiums sollte als Hubschrauber-Landeplatz dienen. "Angedacht war, dass die Verwundeten in der Turnhalle gesichtet und je nach Grad der Verletzung in einen OP im Bunker oder ein Krankenbett in der Schule gebracht worden wären", erzählt Wleklinski. Wo ab 1963 eine neue Schule geplant war, wurden diese Projekte meist mit dem Ausbau zum Hilfskrankenhaus verbunden. Erst kam der Bunkerteil in die Erde - komplett finanziert mit Bundesmitteln - und anschließend wurde die Schule obendrauf gebaut. Die Kosten betrugen insgesamt fast 300 Millionen D-Mark (rund 150 Millionen Euro) für den Bau und jährlich mehr als 2,3 Millionen D-Mark (1,2 Millionen Euro) für die Unterhaltung der Gebäude. Noch heute koste die notdürftige Wartung der unterirdischen Anlagen den Bund pro Jahr eine halbe Million Euro, sagt Fuchs. Neben den Neubauten wurden auch sechs vorhandene Bunker einbezogen: vier Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg und je einer unter dem Feuerwehrtechnischen Zentrum im niedersächsischen Stade sowie unter der Feuerwehrschule Kassel.
Der Bau der Hilfskrankenhäuser hatte weitreichende Konsequenzen: Jährlich habe der Bund rund 10 000 neue Krankenschwestern aus- und ebenso viele fortgebildet, sagte Fuchs. Denn nach einem festen Schlüssel galt die Regel: 64 Personalkräfte pro 200 Betten. Außerdem mussten Materialien für 206 000 Verletzte, Arzneimittel für 290 000 Patienten, Verbandsstoffe für 240 000 Verwundete sowie 103 000 Ausstattungsgegenstände vorgehalten werden. Im Notfall - so die Überlegung in der Annahme, ein Atomkrieg sei beherrschbar - sollte jeder Bunker bis zu drei Wochen autark existieren können.
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Unterirdischer Besprechungsraum | Gipsraum | Personal-Waschraum |
In den gasdichten Zugangsschleusen weisen in Wedel noch immer Türschilder den Weg in die "Entgiftung": Durch zwei Stahlluken in einer Wand hätten Helfer kontaminierte Kleidung in einem "Abwurfschacht" entsorgt, von dem laut Wleklinski bis heute niemand weiß, wie tief er in die Erde geht. Wäre er voll, würden die Luken mit Bleibetonsteinen verschlossen, wie sie überall in den Gängen noch aufgeschichtet liegen.
Nach dem Abschrubben in einem großen Duschraum wären die Verletzten dann in einen der fünf Operationssäle im Bunker gekommen. Dahinter liegen drei Räume für 34 Frischoperierten-Betten, die übrigen fast 700 Patienten hier unten hätten durchweg in Etagenbetten gelegen. Versorgt werden sollten sie aus der Notküche mit zwei Gulaschkanonen, die 1000 Essen in einem Durchgang in die 156 Räume unter der Erde liefern konnten. Der längste Gang, der die Bereiche verbindet, misst 176 Meter.
Doch fast nichts von der Einrichtung ist mehr vorhanden, auch das weiße Steingutgeschirr mit dem Hamburger Stadtwappen nicht. "Alles wurde nach der Auflösung ausgeräumt und als Hilfssendung in Katastrophengebiete geschickt", sagt Wleklinski. Nur die Lkw-Batterien an den Notstromaggregaten sind immer noch angeschlossen, wenngleich sie längst "saftlos" sein dürften. Sie gehören zu den wenigen Relikten, die übrig geblieben sind - wie das Telefon, das einzige Radio und der Warnamts-Empfänger im Bunkerwartraum, über den die aktuellen Meldungen etwa zur Verstrahlung oben auf der Erde angesagt worden wären. Oder der Wohnzimmerschrank im Chefarzt-Zimmer, der mit seinem 50er-Jahre-Charme noch nie hierher gepasst hat.
Interne Kommunikation und Warnamtsempfänger | Notstromer | ABC-Filter |
Etwa 5,6 Millionen D-Mark (2,9 Millionen Euro) hat der Bau des 6200 Quadratmeter großen Bunkers einst gekostet, eine weitere Million Mark (etwa 510 000 Euro) das Inventar. "Wirklich genutzt wurde das alles aber nie", sagt Wleklinski. Nur 1976 diente der Bunker Sturmflutopfern aus Finkenwerder als Notunterkunft, später waren einmal Kirchentagsbesucher einquartiert. Und nach dem tödlichen Amoklauf am Erfurter Gutenberg-Gymnasium im Jahre 2002 hat die Polizei im Labyrinth "Häuserkampf in verschachtelten unbekannten Objekten" trainiert.
Was aus dem Bunker von Deutschlands einst größtem Hilfskrankenhaus wird, ist ungewiss. Die Stadt würde ihn Vereinen gerne als Lagermöglichkeit anbieten. Doch das hängt an Entscheidungen des Bundes. Trakt für Trakt macht Wleklinski das Licht aus. Zurück bleibt nur das gespenstische Leuchten der Wandstreifen.
Der Artikel wurde dem Verein "unter hamburg e.V." freundlicherweise von der Nachrichtenagentur ddp zur Verfügung gestellt. Alle Urheberrechte liegen bei der ddp Deutscher Depeschendienst GmbH.
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