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unter hamburg

Ein steinernes Zeugnis der Vergangenheit verschwindet –

Der Tiefbunker unter dem Gertrudenkirchhof im Wandel der Zeit

 

(Von Kai Gerullis)

 

 

Wenige Meter abseits der Mönckebergstraße öffnet sich inmitten von Häuserfluchten der Gertrudenkirchhof. Eingerahmt von Jugendstilhäusern und postmodernen Glasfassaden, zeigt sich der Platz in der nördlichen Altstadt seit Jahrzehnten als Grünanlage im morbiden Charme der 1970er-Jahre.

 

Von einem ehemaligen Friedhof existiert auf dem Platz zwischen Lilien- und Rosenstraße keine Spur mehr – die Kirche, die dem Ort ihren Namen verlieh, brannte 1842 nieder.

 

Dass der Gertrudenkirchhof ein steinernes Zeugnis der jüngsten Geschichte beherbergt, war nicht zu sehen. Erst als im Februar 2006 die Bagger anrückten, um den Platz in eine zeitgemäße Grünanlagen zu verwandeln, legten sie vier massive Abdeckungen frei, die seit Mitte der 1970er-Jahre den Zugang zu einem Bauwerk unter dem Platz verschlossen hatten: Die Eingänge eines zweigeschossigen Tiefbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg.

 
 Bunkereingang am Gertrudenkirchhof, März 2006:
 Das Bauwerk stand unter Wasser, die Eingänge waren verfüllt.

 

Seit wann und vor allem wem das Bauwerk Schutz vor den Luftangriffen bot, ist nach derzeitiger Aktenlage umstritten. Erste Planungsskizzen datieren auf das Jahr 1939; eine Bauanzeige soll im Januar 1940 gestellt worden sein. Mehrfach wird in Nachkriegsunterlagen auch 1940 als endgültiges Baujahr angegeben. (1) Da vor Ende 1940 kaum zivile Bunkeranlagen in Hamburg errichtet wurden, weisen die Unterlagen auf eine militärische Nutzung hin. Zivile Schutzräume in größerem Umfang entstanden erst mit dem so genannten „Führer-Sofortprogramm", das am 10.10.1940 erlassen wurde. (2) Da allerdings einige Dokumente auch die Fertigstellung des Bunkers am 12.7.1941 nennen, könnte es eine Modifizierung der Planungen nach Erlass des Bauprogramms gegeben haben.

 

Widersprüchlich sind die vorliegenden Informationen auch über die Nutzung des Bauwerks während des Zweiten Weltkrieges. So wird zum einen darauf verwiesen, dass die Anlage im Krieg als Befehlsbunker verwendet wurde - eine militärische Verwendung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. (3) Zudem deuten dem Verein vorliegende Quellen darauf hin, dass das Gebäude von der Luftwaffe finanziert wurde, was eine zivile Nutzung ebenfalls unwahrscheinlich macht. An anderer Stelle heißt es in den Akten jedoch „Er hat im 2. Weltkrieg als öffentlicher Luftschutzraum gedient". (4) Da die Umgebung des Gertrudenkirchhofs während des sechsten Großangriffs im Zuge des „Unternehmens Gomorrha" in der Nacht zum 30. Juli 1943 zu den Hauptschadensgebieten gehörte (5) liegt die Vermutung nahe, dass der Bunker zumindest zeitweise von der Zivilbevölkerung genutzt werden konnte.

 

Der Tiefbunker bot 720 Personen Platz. Er dehnt sich über eine Fläche von 27 mal 18 Metern zweigeschossig unter der Erde aus. Zwei Abgänge führen diagonal in die erste Etage, die beiden anderen in die zweite. Beide Stockwerke bestehen aus sechs nahezu gleich großen Räumen. Ungewöhnlich ist, dass beide Stockwerke nicht miteinander verbunden sind.

 
 Raumplan des Untergeschosses

 

Die Außenwände verfügen über eine Stärke von 1,80 Metern, die Decken entsprechen mindestens 1,40 Meter (vermutlich sogar 2 Metern) dickem Stahlbeton. Gegründet ist die Anlage auf einer 1,20 Meter starken Sohle. (6) Obwohl die Anlage schon vor dem Erlass geplant wurde, entspricht sie den Vorgaben der „Anweisung für den Bau bombensicherer Luftschutzräume" vom 14. November 1940. (7) 

 

Der Tiefbunker ist kein „Regelbau". Statt ein standardisiertes Bauwerk zu errichten, musste der Schutzraum individuell auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten werden. Infolge des fallenden Geländes sind die Räume in der Längsrichtung und in der Höhe um ca. 76 Zentimeter (4 Stufen) gegeneinander versetzt. (8) Ungewöhnlich im Vergleich zu anderen Bunkern sind Teile der Ausstattung: So verfügt die Anlage über Wasserklosetts und war mit Heizkörpern ausgestattet, die nur über eine externe Heizungsanlage hätten versorgt werden können. Dies spricht dafür, dass die Anlage eine besondere (militärische) Bedeutung gehabt haben könnte, denn die meisten anderen Bunker verfügten über keine Zentralheizung.

 

 
 Wasserklosett im Bunker

 

Nach dem Krieg diente der Bunker jahrelang als Lagerraum. Der Bund als Eigentümer hatte das Bauwerk einem privaten Mieter zur Verfügung gestellt. (9) Aufwändigere Nutzungskonzepte waren damals auch kaum vorstellbar – denn durch das Schutzbaugesetz vom September 1965 unterlag die Anlage einem Veränderungs- und Beseitigungsverbot. Allerdings waren auch die örtlichen Behörden auf den Tiefbunker aufmerksam geworden. Als in der 1960er-Jahren erste Bunkeranlagen des Zweiten Weltkriegs der veränderten Bedrohungslage des Kalten Krieges angepasst wurden, prüfte die Behörde für Inneres 1964 neben vier anderen Bauwerke auch den Tiefbunker am Gertrudenkirchhof für die „zivile Notstandplanung in Anspruch zu nehmen". (10) Das Bauwerk sollte umgebaut werden, um vor den Auswirkungen eines Atomschlags Schutz zu bieten.

 

Die Anlage wurde für diesen Zweck nicht zufällig ausgewählt: Nachdem die Zerstörungen des Krieges beseitigt waren und die Warenhäuser entlang der Mönckebergstraße schrittweise wieder öffneten, hatte sich die Altstadt erneut zur belebten City entwickelt. Rund um den Gertrudenkirchhof rechnete die Innenbehörde deshalb mit einem Schutzraumbedarf für 16.250 Personen. (11) Alternativen gab es kaum: Der nächster Schutzraum lang zwar nur rund 170 Meter entfernt an den Kurzen Mühren Nr. 1 – er bot allerdings lediglich 126 Personen Platz. (12)

 

Zudem hatte eine Begehung 1964 ergeben, dass der bauliche Zustand des Bunkers „gut" sei und er somit eine Instandsetzung rechtfertigen würde. (13) Bei dem Rundgang der Behörde wurde auch die Ausstattung der Anlage dokumentiert: „Belüftungsanlage: soweit noch vorhanden. Elektrische Anlagen: teilweise betriebsfertig, Be- und Entwässerung sowie Abortanlage: Abgängig. Im Untergeschoss befindet sich eine Abwassergrube mit einer noch betriebsfertigen Hebeanlage". (14)

 

 
Blick in den Bunker März 2006

 

Die Behörde für Inneres entschied daher, den Bunker zum Zwecke des zivilen Bevölkerungsschutzes in Anspruch zu nehmen. Entsprechende Anträge wurden von der Behörde gestellt. (15) Geändert hat sich an der Nutzung des Schutzraums jedoch nichts. Warum es nie zum geplanten Umbau kam, geht aus der derzeitigen Aktenlage nicht hervor. Handschriftliche Notizen auf den Vorgängen geben Hinweise darauf, dass das Projekt wegen eines geplanten U-Bahn-Neubaus aufgeschoben wurde. (16)

 

So war der Bunker noch im Jahr 1974 als Lagerraum vermietet. (17) In diesem Jahr entschloss sich das Bezirksamt Hamburg Mitte, den Gertrudenkirchhof komplett neu zu gestalten. (18) Skat- und Leseecken sollten die Fläche zusammen mit Kinderspielgeräten in eine moderne Grünanlage verwandeln. Nicht ins Bild passten die vier Bunkereingänge, die zu der Zeit mit Maschendrahtaufbauten und einer Rollschicht gesichert waren. Um die Pläne verwirklichen zu können, mussten die Eingänge mit vier 2 mal 2 Meter großen Platten verschlossen werden. „Die Maßnahmen schließen eine spätere Inbetriebnahme, die auch mit verhältnismäßig geringem Mittelaufwand möglich ist, nicht aus", betonte damals das Bezirksamt Hamburg-Mitte. (19) Entgegen dieser Angaben und vorhandenen Auflagen wurden die Eingänge dennoch mit den Trümmern der Treppenabgänge verfüllt und überbaut.

 

 
 Blick in den freigeräumten Eingangsbereich

 

Aus dem Stadtbild verschwunden, geriet der Bunker in Vergessenheit. Die seit den 1970er-Jahren grundlegend veränderte weltpolitische Lage und der mindestens ebenso deutlich gewandelte Anspruch an moderne Grünanlagen beendeten den Dornröschenschlaf des Bunkers erst im Februar 2006. Anders als vor 30 Jahren muss bei der erneuten Umgestaltung mittlerweile auf den Bunker keine Rücksicht mehr genommen werden: „Über seine weitere Verwendung, die auch einen Abriß der Anlage bedeuten kann, kann nach freiem Ermessen entschieden werden", hatte die Innenbehörde bereits 1996 vor dem Hintergrund der aktuellen Gesetzeslage entschieden. (20)

 

Entsprechend rigoros konnten die Maßnahmen geplant werden: An der Ostseite des Platzes entfernten Bauarbeiter mehrere Meter von der Betondecke des Bunkers, um Platz für Bäume zu schaffen. Außerdem wurden zwei Treppenabgänge abgebrochen, damit sich die Wurzeln ausbreiten können. Vor Beginn der Arbeiten wurde die Bausubstanz während einer Begehung untersucht. Dazu hatten Arbeiten die Eingänge nochmal freigelegt. Bei dieser Gelegenheit durften auch Mitglieder des Vereins „unter hamburg" am 5. März 2006 letzte Blicke ins Innere des Bauwerks werfen. Vor dem Abstieg musste allerdings ein Problem gelöst werden: über die Jahre waren die Räume komplett mit Wasser voll gelaufen, da die Oberflächenentwässerung in den Bunker abgeleitet wurde. Hilfe stellten die THW-Ortsgruppen Hamburg-Mitte und Hamburg-Bergedorf, die mit einer Großpumpe das Bauwerk von etwa 4 500 000 Litern Wasser befreiten.

 

Nach rund drei Stunden war die obere Etage begehbar. Allerdings erwies es sich als großer Nachteil, dass der Bunker in den 1970er-Jahren vermutlich übereilt verschlossen wurde. In der Etage lagerten noch immer Hinterlassenschaften des letzten Mieters. Durch den jahrelangen Luftabschluss faulte der Unrat vor sich hin. Nach dem Abpumpen des Wassers bildeten sich daher sofort Gase, die im Scheinwerferlicht als regelrechte Nebelschwaden zu sehen waren. Helfer des THW versuchten unter Atemschutz die Etage quer zu lüften, was jedoch nicht möglich war: Die Müllmassen blockierten die Zwischentüren. Aus Sicherheitsgründen konnte die obere Etage deshalb nicht betreten werden. Gegen 18.00 Uhr hatte das THW auch die untere Etage bis auf 30 cm von den Wassermassen befreit. Zum Vorschein kamen original Beschriftungen an den Wänden, Toiletten-Anlagen und Schleusen.

     
 Aufenthaltsraum
 Gasschleuse
 

 

Ehemaliger Standort des Bauwerkes auf Google maps

 

Anmerkungen

 

1 Akte BfI

2 Schmal, Helga / Selke, Tobias: Bunker. Luftschutz und Luftschutzbau in Hamburg, Hamburg 2001, 38 f.

3 Akte BfI

4 Ebd.

5 vgl. Brunswig, Hans: Feuersturm über Hamburg. Die Luftangriffe aus Hamburg im 2. Weltkrieg und ihre Folgen, Spezialausgabe 2003, Hamburg 2003, 248 ff.

6 Akte BfI

7 vgl. Schmal/Selke: Bunker, 59 f.

8 Akte BfI

9 Ebd.

10 Ebd.

11 Ebd.

12 Ebd.

13 Ebd.

14 Ebd.

15 Ebd.

16 Ebd.

17 Ebd.

18 Ebd.

19 Ebd.

20 Ebd.

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